Periphere arterielle VerschlusskrankheitpaVK: Frauen sind unzureichend versorgt

Dies trifft besonders für Frauen im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium der kritischen Extremitätenischämie zu, zeigt eine Analyse von rund 200.000 AOK-Patientendaten.

rosa weibliche Holzfigur und blaue männliche Holzfigur auf einem Schachbrett
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Die Forschung hat erneut Geschlechterunterschiede in der medizinischen Versorgung herausgefunden.

Besonders Frauen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) sind laut einer Analyse von AOK-Patientendaten unterversorgt.

Die paVK ist gekennzeichnet durch eine Durchblutungsstörung der Becken- und Beinarterien als Folge der Arteriosklerose. In der Arbeit fanden die Forscher*innen heraus, dass die Unterversorgung besonders für Frauen mit paVK im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit kritischer Extremitätenischämie zutrifft.

In der Arbeit wurden AOK-Krankenkassendaten zu rund 200.000 stationär an paVK behandelten Patient*innen analysiert. Im genannten Erkrankungsstadium treffen oft Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Rauchen und Fettstoffwechselstörungen sowie Begleiterkrankungen wie chronische Herz- oder Niereninsuffizienz zusammen.

„Wir konnten in unserer Analyse zeigen, dass die Mangelversorgung von Männern und Frauen mit paVK sowohl die Diagnose als auch Therapie und Nachsorge umfasst. Allerdings ist das bei Frauen noch deutlicher ausgeprägt als bei Männern“, berichtet die Erstautorin der Studie Dr. Lena Makowski vom Universitätsklinikum Münster.

Frauen erhalten seltener Gefäßdiagnostik und -therapie

Ausgangspunkt für die Versorgungsanalyse der Münsteraner Forscherin und ihres Teams war die Erkenntnis, dass wissenschaftliche Arbeiten in den letzten Jahrzehnten zwar geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Erkrankungshäufigkeit und im Krankheitsverlauf von paVK-Patient*innen zeigen konnten. Frauen sind aber in randomisiert kontrollierten Studien deutlich unterrepräsentiert.

Die AOK-Daten zeigen, dass paVK im Stadium der kritischen Extremitätenischämie meist mit Bluthochdruck (90 %) und bei etwa der Hälfte der Betroffenen mit weiteren Risikokrankheiten wie Diabetes (54 %), Fettstoffwechselstörung (58 %) oder Begleiterkrankungen wie Koronare Herzkrankheit (KHK) (58 %), chronische Herzinsuffizienz (45 %) oder Niereninsuffizienz (49 %) einhergeht. Die Mangelversorgung dieser Patient*innengruppe ist ein alarmierendes Signal.

So ergab die Analyse der AOK-Patientendaten von Anfang 2010 bis Ende 2017 und einer Nachverfolgung bis 2018, dass Frauen in diesem paVK-Stadium und der Hospitalisierung im Durchschnitt zwar fast acht Jahre älter waren als Männer (81 vs. 74 Jahre). Dafür litten sie häufiger an einer kritischen Extremitätenischämie und wurden insgesamt jedoch seltener im Krankenhaus behandelt. Bei ihrem ersten Krankenhausaufenthalt wegen paVK erhielten Frauen seltener eine diagnostische Angiographie (67 % vs. 70 %) oder eine Wiederherstellung des Blutflusses (Revaskularisierung) katheterbasiert über die Leistenarterie oder offen chirurgisch (61 % vs. 65 %).

„Dabei werden diese diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen im paVK-Stadium der kritischen Extremitätenischämie dringend empfohlen. Die Revaskularisation ist hier die Standardtherapie und entscheidend, um eine Amputation zu verhindern“, so die Biologin und Versorgungsforscherin Dr. Makowski.

Auch weniger Lipidsenker und Blutverdünner für Frauen

Die Studie legt auch nahe, dass bei der medikamentösen Therapie ein Versorgungsdefizit zulasten der Frauen besteht. Makowski und ihr Team untersuchten die Verschreibungsrate der in den Leitlinien empfohlenen Lipidsenker und oralen Blutverdünner zur Verhinderung schwerwiegender Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall sowie Gefäßkomplikationen in den Beinen.

Schon für beide Geschlechter insgesamt war die Verschreibungsrate nach der Behandlung im Krankenhaus, also nach gesicherter paVK-Diagnose, zu niedrig (Statine: 57 %; Blutverdünner: 71 %). Doch bei den Frauen war die Verschreibungsrate nochmals deutlich niedriger als bei Männern (Statine: 51 % vs. 62 %; Blutverdünner: 68 % vs. 73 %).

Besseres Langzeitüberleben und weniger Amputationen bei Frauen

In der 9-jährigen Nachbeobachtungszeit der Studie war überraschenderweise bei den Frauen mit paVK trotz der schlechteren Versorgung die Überlebensrate höher und die Amputationsrate geringer im Vergleich zu den Männern.

„Allerdings zeigt unsere Versorgungsanalyse auch, dass die paVK von ärztlicher Seite unterschätzt und oft zu spät oder gar nicht diagnostiziert und häufig nicht leitliniengerecht behandelt wird“, so Makowski. Dadurch verschlechtere sich die Prognose der Betroffenen dramatisch.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Insbesondere die Multimorbidität von paVK-Patient*innen, die mehrere Organ- und Gefäßerkrankungen zugleich aufweisen, trage dazu bei und stelle Mediziner zum Beispiel bei der Medikamententherapie vor Herausforderungen. Frauen wiesen zudem häufig längere asymptomatische Krankheitsverläufe oder atypische Symptome auf, was die Diagnosestellung und somit die rechtzeitige Therapie verzögere. Weitere Forschungsarbeiten am Universitätsklinikum Münster sollen sich dieser Problematik widmen, um die Versorgung von paVK-Patient*innen zu verbessern.

Die 2022 im „European Heart Journal“ publizierte Arbeit „Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Behandlung und dem Outcome bei kritischer Ischämie der unteren Extremitäten: Darstellung einer realen Versorgungssituation“ [1] hat diese Defizite in der Versorgung von Patient*innen mit paVK offengelegt und wurde von der Deutschen Herzstiftung gemeinsam mit dem DGK-Zentrum für Kardiologische Versorgungsforschung (DGK-ZfkVF) der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) mit dem Wissenschaftspreis der Josef-Freitag-Stiftung (Dotation 10.000 Euro) ausgezeichnet.

„Die Versorgungsanalyse von Dr. Makowski und Kollegen liefert nicht nur ein genaues Bild der Versorgungssituation bei Männern und Frauen mit pAVK über einen Zeitraum von neun Jahren, sondern trägt aufgrund ihrer Forschungsergebnisse auch zu einer besseren leitliniengerechteren Versorgung von Menschen mit paVK bei“, betont der Kardiologe Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. So sollen die Ergebnisse der Arbeit in den neuen Leitlinien zur Versorgung bei paVK implementiert werden. Infos zur pAVK sind abrufbar unter https://herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/pavk

Quelle: Deutsche Herzstiftung/wi

Literatur

[1] Makowski L et al. Sex-related differences in treatment and outcome of chronic limb-threatening ischaemia: a real-world cohort. European Heart Journal 2022; https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac016