PräventionKindliche Kurzsichtigkeit bremsen – was hilft wirklich?

Kurzsichtigkeit beginnt im Kindesalter und kann ernste Augenerkrankungen auslösen. Ein Experte erklärt, wie Fehlsichtigkeit bei Kindern vorgebeugt werden kann. 

Kind mit Brille streckt die Arme nach vorne. Die Handflächen sind bunt bemalt.
K.Oborny/Thieme; posed by a model.

Die Kurzsichtigkeit lässt sich, wenn überhaupt, nur im Kindes- und Jugendalter während der Wachstumsphase des Augapfels minimieren.

In der dunklen Jahreszeit schwindet ein wichtiger Faktor, der Kinder vor Kurzsichtigkeit schützt: das Tageslicht. „Tageslicht hemmt das Längenwachstum des Augapfels und bremst so Kurzsichtigkeit ab“, erläutert Dr. med. Wolf Lagrèze von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). „Wir empfehlen daher zwei Stunden Aufenthalt pro Tag im Freien, das hilft gegen Kurzsichtigkeit – vermutlich bis ins junge Erwachsenenalter.“ Womit kann man die Fehlsichtigkeit sonst noch aufhalten? DOG-Experten geben Auskunft und einen Ausblick auf neue Forschungserkenntnisse.

Kurzsichtigkeit beginnt im Kindesalter. Das unscharfe Sehen in der Ferne mindert nicht nur die Lebensqualität, sondern begünstigt auch ernste Augenerkrankungen wie Makuladegeneration oder Netzhautablösung. „Eltern sind daher gut beraten, einer Kurzsichtigkeit mit ein paar Verhaltensregeln vorzubeugen oder zumindest ihr Fortschreiten zu verlangsamen“, sagt Lagrèze von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg im Breisgau.

Dr. med. Wolf Lagrèze rät:

  • Kinder sollten sich täglich 2 Stunden draußen aufhalten. Das Risiko für Kurzsichtigkeit kann so um 50 Prozent gesenkt werden.
  • Kinder sollten beim Lesen (z.B. Bücher, Tablets) einen Mindestabstand von 30 Zentimetern einhalten, jede halbe Stunde pausieren und den Blick in die Ferne schweifen lassen. Die viele Nahsicht auf digitale Medien kann auch psychologische Entwicklungsstörungen auslösen. 
  • Kinderschreibtisch ans Fenster stellen für mehr Helligkeit am Arbeitsplatz.

Atropin-Tropfen: bis zu 40 Prozent geringere Kurzsichtigkeit

Sind beide Elternteile ausgeprägt kurzsichtig, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit für das Kind, ebenfalls stark kurzsichtig zu werden, so Lagrèze. In diesen Fällen könnte eine Therapie mit Atropin-Tropfen helfen, die viele Augenärzt*innen in Kliniken und Praxen inzwischen im „Off lable use“ anbieten. „Dafür kommen Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren infrage, bei denen die Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens eine halbe Dioptrie zunimmt“, erklärt Lagrèze. Die Eltern träufeln abends vor dem Zubettgehen jeweils einen Tropfen in der geringen Konzentration von 0,01 Prozent Atropin in jedes Auge, dies für mindestens 2 Jahre. Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht. Erhältlich sind die Tropfen auf Privatrezept als unkonservierte Zubereitung in Apotheken.

„Studien aus Asien belegen, dass die Tropfen die Zunahme der Kurzsichtigkeit um bis zu 40 Prozent abbremsen“, berichtet der Freiburger Augenarzt, der eine Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Wirksamkeit der Atropin-Therapie leitet. Trotzdem sollten sich Kinder weiterhin zwei Stunden pro Tag im Freien aufhalten, betont Lagrèze und fügt hinzu: „Atropin-Tropfen ersetzen im Übrigen auch nicht die Brille, die während der Therapie konsequent zu tragen ist.“

Unterkorrektur bei Kurzsichtigkeit ist kontraproduktiv

Was die Brille betrifft, gilt: Kurzsichtigkeit sollte nicht unterkorrigiert werden. „Die Annahme, schwächere Brillengläser würden das Augenlängenwachstum bremsen, ist falsch“, warnt der Experte. „Das genaue Gegenteil ist der Fall: Unterkorrektur fördert Kurzsichtigkeit“, erläutert Lagrèze.

Vor diesem Hintergrund rät der Augenspezialist: „Kinder, deren Kurzsichtigkeit fortschreitet, sollten halbjährlich untersucht und ihre Brille bei Bedarf an die aktuellen Werte angepasst werden.“ Spezielle Brillen, die versprechen, das Augapfel-Wachstum und damit die Kurzsichtigkeit aufzuhalten, betrachtet der DOG-Experte mit Zurückhaltung: „Um diese sogenannten Multisegment-Gläser abschließend beurteilen zu können, bedarf es weiterer, unabhängiger Studien.“

Eine Alternative zu Atropin-Augentropfen stellen spezielle Kontaktlinsen dar, die Kurzsichtigkeit um bis zu 40 Prozent mindern können und bis zum 14. Lebensjahr getragen werden sollten. „Hier ist die Studienlage wesentlich breiter und solider“, berichtet Lagrèze. „Wenn das Kind motiviert ist und Lust auf Kontaktlinsen und die damit verbundene Hygiene hat, kann man sie ab einem Alter von etwa zehn Jahren empfehlen.“ Wichtig zu wissen: Eine Möglichkeit zur Minderung der Kurzsichtigkeit besteht nur im Kindes- und Jugendalter während der Wachstumsphase des Augapfels. „Diese Entwicklung ist größtenteils mit 17 Jahren abgeschlossen“, so Lagrèze. „Bei Erwachsenen funktioniert das also nicht mehr.“

Den Entstehungsmechanismen der Kurzsichtigkeit auf der Spur

Unterdessen sind die Forscher*innen den Entstehungsmechanismen der Kurzsichtigkeit weiter auf der Spur. „Eine neue Erkenntnis ist, dass die Netzhaut im kurzsichtigen Auge die Fähigkeit einbüßt, das übermäßige Wachstum des Augapfels zu erkennen“, berichtet Prof. Frank Schaeffel vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde an der Universität Tübingen.

Ist das Auge normalsichtig, sendet die Netzhaut bei zu starkem Augapfel-Wachstum ein wachstumshemmendes Signal. „Im kurzsichtigen Auge fällt dieses Signal zu schwach aus“, erläutert der Tübinger Forscher. Warum und wann der Wachstumsregelkreis aus dem Tritt gerät, ist noch unklar. „Das möchten wir gerne verstehen. Es wäre natürlich ideal, ihn zu reaktivieren und die Kurzsichtigkeit auf diese Weise auszuschalten“, betont Schaeffel. Noch steht die Forschung hierzu aber am Anfang.

Quelle: Pressemitteilung/Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft