PsycheKindheitstraumata wirken bis ins Erwachsenenalter

Psychotherapien helfen in jedem Alter effektiv bei der Traumabewältigung und können körperliche und geistige Folgen früherer Traumata vorbeugen.

Figuren aus Holz auf einem Holzbrett. Eine rote und gelbe Figur stechen heraus.
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Immer mehr Ältere nutzen das Angebot einer Psychotherapie - mit positiven Auswirkungen auf die Gesundheit.

Jeder fünfte ältere Mensch leidet unter seelischen Erkrankungen. Während Psychotherapie von dieser Bevölkerungsgruppe lange Zeit wenig in Anspruch genommen wurde, findet jetzt ein Wandel statt, und es kommen mehr Ältere in Behandlung. Damit erhalten sie nicht nur ihre psychische, sondern auch ihre körperliche Gesundheit – denn traumatische Erlebnisse beschleunigen die Alterung und kosten gesunde Lebensjahre.

Psychische Belastungen beeinträchtigen Gehirnentwicklung

Zwischen 20 und 30 Prozent der deutschen Bevölkerung berichten in großen Studien über Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung oder dysfunktionale Familienumgebungen mit Gewalt oder Substanzmissbrauch. „Solche Kindheitsbelastungen haben nicht nur ungünstige Auswirkungen auf emotionale Bindungsfähigkeit und soziale Kompetenzen. Sie hinterlassen auch negative biologisch messbare Spuren im Körper“, sagt Dr. med. Dipl.-Psych. Manfred Beutel. „Dazu zählt etwa die chronische Aktivierung des Stresssystems und die Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung.“

Die schädlichen Folgen reichen bis auf die molekularbiologische Ebene, wie die Forschung nachweisen konnte. So finden sich bei Personen, die früh psychische Traumata erlebt haben, verkürzte Telomere – das sind die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen. Kürzere Telomere werden mit einer geringeren Lebenserwartung in Verbindung gebracht.

„Traumatische Erlebnisse lassen unseren Körper schneller altern“, stellt Beutel fest. „Sie können die Immunabwehr beeinträchtigen, Herzkreislauferkrankungen fördern und die Muskelkraft schneller schwinden lassen, insbesondere, wenn die Traumata zu psychischen Erkrankungen führen.“

Folgen traumatischer Erfahrungen vorbeugen

Doch es gibt Schutzfaktoren, die wir nutzen können. „Eine sichere Bindung, positive Erwartungen von Hilfe und Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen entwickeln sich in der Beziehung zu Vertrauenspersonen und können diesen negativen Einflüssen von ungünstigen Lebenserfahrungen entgegenwirken“, erklärt Beutel. Die Existenz einer solchen Vertrauensperson ist allerdings nicht immer gegeben. „Das können wir nur bedingt beeinflussen“, so Beutel.

Darüber hinaus kann Psychotherapie bei der Aufarbeitung der Traumata helfen, soziale Einbindung und Resilienz fördern. „Sie kann auch einen gesünderen Umgang mit dem eigenen Körper fördern und dadurch negativen körperlichen Folgen entgegenwirken“, so Beutel. Diese Option stehe allen Betroffenen offen.

Immer mehr ältere Menschen lassen sich therapieren

„Selbst wenn ältere Menschen unter erheblichen psychosozialen Belastungen zu leiden hatten oder ihres Lebens überdrüssig wurden, haben sie Psychotherapie bis vor einigen Jahren wenig in Anspruch genommen“, berichtet Beutel. Das habe mit mangelnder Offenheit der Betroffenen zu tun gehabt, die nicht gewohnt waren, über ihre Gefühle mit fremden Personen zu sprechen. „Aber auch Altersstereotypen der Therapeut*innen trugen dazu bei, die das Änderungspotenzial älterer Menschen durch Psychotherapie unterschätzten“, betont der Mainzer Experte.

Der Bedarf ist da. „Verluste von Nahestehenden, eigene Krankheit oder die unerwartete Konfrontation mit unverarbeiteten Belastungen können im Alter seelische Erkrankungen hervorrufen, vor allem, wenn die Widerstandskraft oder Selbständigkeit nachlässt“, weiß Beutel. Durch Einbußen der Gesundheit oder Fähigkeiten können Ängste oder Depressionen wieder auftreten oder sich verschlimmern.

„In diesem Sinne ist Psychotherapie bei Älteren nicht nur zur Behandlung seelischer Störungen angezeigt, sondern dient auch der Erhaltung von Aktivität und Gesundheitsverhalten und damit der Vorbeugung des Abbaus geistiger und sozialer Funktionen“, betont Beutel. „Die Chancen, dass die Generation Babyboomer noch fitter und zufriedener altert als frühere Generationen, stehen damit gut."

Vom 3. bis 5. Mai 2023 findet der Deutsche Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in der Urania Berlin e.V. statt. Schwerpunkt: Altern im Wandel - Perspektiven und Handlungsfelder

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie