PsychosomatikEinsamkeit gehört zu den größten Gesundheitsrisiken

Welche Folgen die Pandemie mit ihrem bis dato nie dagewesenen Ausnahmezustand auf die psychische Gesundheit hatte, zeigt sich erst nach und nach. Besonders junge Menschen und Frauen litten unter Einsamkeit.

Mensch mit rotem Schirm bei Regen allein auf einer Treppe, Einsamkeit
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Einsamkeit war bereits vor der Pandemie ein weit verbreitetes Phänomen: Etwa 14 Prozent der Menschen in Deutschland leiden unter Einsamkeit.

Die Pandemie hat auf vielen Ebenen – gesundheitlich, wirtschaftlich, politisch, sozial – einen Ausnahmezustand markiert und viele Menschen mit nie dagewesenen Erfahrungen konfrontiert. Welche psychischen Folgen das konkret sind, wer besonders betroffen war und ist und wie nachhaltig die psychischen und psychosomatischen Auswirkungen der Pandemie auch nach ihrem Ende sein werden – dieses Bild schärft sich erst nach und nach. Schon jetzt konsistent und in verschiedenen Studien und Erhebungen nachgewiesen, zeigt sich, dass Jugendliche und junge Menschen psychisch stärker belastet waren als ältere und Frauen mehr als Männer – beispielsweise stiegen die Krankenhauseinweisungen wegen Essstörungen in den Corona-Zeiten um 48 Prozent.

Die psychosomatischen Auswirkungen der Pandemie waren ein zentrales Thema des Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und einer Kongress-Pressekonferenz.

"Grundsätzlich rufen belastende Ereignisse wie Angst vor Ansteckung und Tod, finanzielle Sorgen, soziale Isolation und Überforderung, zum Beispiel durch Parallelität von Beruf und Kinderbetreuung während der Schulschließungen, psychische Reaktionen hervor – das ist erstmal normal und kein Zeichen einer psychischen Störung“, sagt Prof. Stephan Herpertz von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum. „So mehren sich aktuell die Hinweise, dass die Dynamik der psychischen Reaktionen unmittelbar dem infektionsepidemiologischen Geschehen zu folgen scheint – also mit abnehmenden Fallzahlen auch die psychischen Belastungen zurückgehen.“

Einsamkeit: Eines der größten Risiken für die Gesundheit

Einsamkeit ist ein gesellschaftliches Problem und durch die Pandemie in den Fokus gerückt. In verschiedenen Studien und Erhebungen zeige sich relativ konsistent, dass junge Menschen in der Pandemie psychisch stärker belastet waren als ältere und Frauen mehr als Männer. „So haben sich beispielsweise mehr junge Menschen und mehr Frauen als Männer während der Lockdowns einsam gefühlt“, sagte Prof. Hans-Christoph Friederich, von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg.

Allerdings: Einsamkeit sei bereits vor der Pandemie ein weit verbreitetes, aber kaum adressiertes Phänomen gewesen, dessen gesundheitliche Folgen noch viel zu wenig bekannt und beachtet seien. Einsamkeit sei ein sehr vages und intensives Gefühl. Durch Pandemiemaßnahmen wie Isolation und Quarantäne haben viele Menschen erstmals die Erfahrung einer akuten Einsamkeit gemacht, so Friederich. 

"Einsamkeit ist ein sozialer Schmerz."

Das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. Dieser werde in Hirnarealen wahrgenommen, die auch für die Verarbeitung körperlicher Schmerzen verantwortlich sind, berichtete Friederich. 

Warum ist Einsamkeit für Menschen so bedeutsam? Wir verbringen 80 Prozent unserer Wachzeit im Kontakt mit anderen Menschen. Unter den Säugetieren sind wir am meisten auf Gemeinschaft ausgerichtet. In Isolation kommt es zu sozialer und emotionaler Verarmung. In Beziehungen nehmen wir Gefühle am intensivsten wahr - positive und negative. In sozialer Isolation fehlen diese Verstärker für positive Emotionen, die wir aus sozialen Beziehungen ziehen, sagte Friederich auf der Pressekonferenz.

Überraschend sei allerdings gewesen, dass die bisherigen großen Studien in Deutschland lediglich einen geringen Effekt der Corona-Pandemie auf die Zunahme der Einsamkeit zeigen. Es sei davon auszugehen, dass gerade zu Beginn der Pandemie eine große Solidarität vorgeherrscht habe, die einen gewissen Puffer bildete. Im weiteren Verlauf sei es jedoch zu einer Zunahme gekommen, die Studienlage zeigt sich hier noch kontrovers. Für den weiteren Verlauf, ob die Einsamkeit nach den Lockerungsmaßnahmen bestehen bleibt oder wieder zurückgeht, stehen Studiendaten noch aus.

Aus der Pandemie habe man gelernt, dass besonders vulnerable Gruppen geschützt werden müssen, insbesondere Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Dazu brauche es künftig gezielte Präventionsmaßnahmen. 

"Einsamkeit ist eine unerkannte Erkrankung."

Dies gelte im Hinblick auf körperliche Erkrankungen. Sozial einsame Menschen versterben früher, belegen groß angelegte Untersuchungen. Metaanalysen zeigen, dass einsame Menschen eine um 30 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, an metabolischen Erkrankungen wie Diabetes oder auch an demenziellen Erkrankungen zu versterben. Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass diese Wahrscheinlichkeit bei sozial gut integrierten Menschen um bis zu 50 Prozent geringer ist.

"Einsamkeit ist ein enorm wichtiger Faktor in der Prävention."

Einsamkeit gilt als gefährlicher als Bewegungsmangel, Übergewicht, Rauchen, Alkoholmissbrauch. Vor diesem Hintergrund sollte Einsamkeit deutlich stärker im Fokus stehen. Ein eindrückliches Beispiel ist der sog. Verwitwungseffekt bei älteren Ehepaaren: Verstirbt ein Ehepartner, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der andere Ehepartner in den darauffolgenden Wochen bis 6 Monaten ebenfalls verstirbt 70 Prozent höher als bei Paaren, bei denen beide Partner noch leben.

Bereits vor der Pandemie trat chronische anhaltende Einsamkeit bei ca. 14 Prozent der Bevölkerung auf. Dieses gesamtgesellschaftliche Problem müsse auf der gesellschaftlichen Ebene angegangen werden. Zum Beispiel mit Informationskampagnen, mit Angeboten wie Freizeit- und Gemeindezentren auf kommunaler Ebene, aber auch auf der individuellen Ebene mit Kompetenztraining. In der Gesundheitsversorgung müsse der Faktor Einsamkeit zukünftig mit erfasst werden, um frühzeitig Präventionsprogramme einleiten zu können oder z.B. Menschen mit dysfunktionalen Beziehungsmustern psychotherapeutisch zu begleiten, so das Fazit von Prof. Hans-Christoph Friederich.

Psychisch Erkrankte besonders vulnerabel während der Pandemie

Besonders vulnerabel waren während der Pandemie erwartungsgemäß jene, die schon zuvor mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen hatten: So zeigt eine aktuelle kanadische Übersichtsarbeit mit 53 Studien und insgesamt 36.485 Betroffenen mit Essstörungen einen starken Anstieg von Angstzuständen, Depressionen und Verschlechterungen der Essstörung. Die Krankenhauseinweisungen für alle Essstörungsentitäten stiegen dem Review zufolge gegenüber Vor-Corona-Zeiten im Durchschnitt um 48 Prozent. „Ausschlaggebend war hierbei vor allem die Trias aus Verlust der Tagesstruktur, Rückgang sozialer Beziehungen und der häufig kompensatorisch gesteigerte Konsum von digitalen Medien“, so Herpertz.

Wichtig für die Aufarbeitung und den Umgang mit den psychischen Folgen der Pandemie sei momentan vor allem zu eruieren, welche psychischen Belastungen oder Erkrankungen sich unter welchen Umständen verstetigen, wie man dies verhindern und den Betroffenen am besten helfen könne, so die Experten. „Zudem hat die Pandemie nochmal ein Schlaglicht auf bereits lange bestehende Problematiken geworfen: Die Unterversorgung und die Wartezeiten auf einen Therapieplatz etwa, aber auch kaum beachtete, jedoch sehr relevante gesamtgesellschaftliche Probleme wie Einsamkeit", so Friederich.

Quelle: Pressekonferenz/DGPPN/Ni