Covid-19Corona-Pandemie: Emotionale Belastungen bei Ärzt*innen in kritischem Ausmaß

Auf dem Gipfel der 4. Pandemie-Welle litten bemerkenswert viele Mediziner*innen an einer Depression oder Angststörung. Ein Vergleich mit Studien zu Pandemiebeginn zeigt einen Anstieg der emotionalen Belastung.

junge Ärztin mit Mundschutz in OP-Kleidung; Symbolbild psychische Belastung während der Corona-Pandemie
Syda Productions/stock.adobe.com; Stockphoto - Posed by a model

Covid-19 führte im Arbeitsalltag von Ärzt*innen zu Konflikten mit medizinisch-ethischen Grundsätzen - und zu erheblichen emotionalen Belastungen.

Konnten Ärzt*innen die außergewöhnlichen Stresssituationen in ihrem Berufsleben bewältigen oder hat ihre psychische Gesundheit dabei gelitten? Der Kardiologe Prof. Andreas Goette und der Psychosomatiker Prof. Karl-Heinz Ladwig sind dieser Frage nachgegangen. 

Befragung zur emotionalen Belastung unter Ärzt*innen

Wie erlebten Ärzt*innen ihr eigenes Handeln in der Pandemie? Wie gingen sie mit besonders belastenden Situationen um? Mediziner*innen unterschiedlicher Fachrichtungen äußerten dazu ihre persönliche Einschätzung in einer anonymisierten Online‐Befragung.

„Im zweiten Jahr der Pandemie wurde immer häufiger von überlasteten und erschöpften Ärzt*innen berichtet. Um das Problem mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, haben wir diese systematische Studie durchgeführt“, erklärt Studienleiter Prof. Goette. „Bei der Datenauswertung haben uns auch folgende Fragen interessiert: Wie unterscheiden sich die Auswirkungen der Pandemie bei Klinikärzt*innen und Niedergelassenen? Ist langjährige Berufserfahrung hilfreich, um mit diesem Stress klarzukommen? Gibt es beim Einfluss der Pandemie auf das ärztliche Handeln geschlechtsspezifische Unterschiede?“

1476 ärztliche Mitglieder der Ärztekammer Westfalen‐Lippe nahmen an der Online-Befragung teil, die Ende 2021 über einen Zeitraum von 6 Wochen durchgeführt wurde. Sie beantworteten Fragen zu ihrer Lebenssituation, zu den von ihnen behandelten Patient*innen sowie zu den Belastungen, denen sie selbst ausgesetzt waren.

Von den Befragten hatten 1139 selbst Covid-19 Patient*innen behandelt. Etwa die Hälfte dieser Ärzt*innen war in Kliniken tätig (586), die andere Hälfte in Praxen (553). Sie arbeiteten in den Fachgebieten Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie sowie Kinder- und Jugendheilkunde.

Ergebnisse

Covid-19 führte im Arbeitsalltag zu Konflikten mit den medizinisch-ethischen Grundsätzen. Mehr als ein Drittel der Befragten, vor allem Niedergelassene, fühlte sich durch externe Zwänge in ihrer ärztlichen Arbeit behindert. Fast die Hälfte (48 Prozent) der Klinikärzt*innen und gut ein Viertel (27 Prozent) der Niedergelassenen berichteten über Fälle, in denen sie große Schwierigkeiten hatten, die Patient*innenwürde zu wahren.

Auf dem Gipfel der 4. Pandemie-Welle litten bemerkenswert viele der befragten Mediziner*innen:

  • Je ein Viertel litt an einer Depression (23 Prozent) oder einer Angststörung (24 Prozent).
  • Mehr als die Hälfte (63 Prozent der Klinikärzt*innen und 53 Prozent der Niedergelassenen) äußerte ein Gefühl der Hilflosigkeit.
  • Die Mehrheit klagte über Schlafprobleme.

Ein Vergleich mit Studien zu Beginn der Pandemie zeigt einen Anstieg der emotionalen Belastung. Besonders betroffen waren Frauen und Ärzt*innen mit nur wenigen Jahren medizinischer Berufserfahrung. 

Prof. Ladwig fasst zusammen: „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen deutlich: Die Pandemie und insbesondere die Behandlung von Covid-19-Patient*innen hatte gravierende Folgen für die ärztliche Arbeit in Kliniken und Praxen. Teilweise wurde das ärztliche Handeln in seinen ethischen Grundzügen in Frage gestellt. Die traumatisierenden Arbeitsinhalte gingen auch an erfahrenen Mediziner*innen, die es eigentlich gewohnt sind, schwierige Situationen zu meistern, nicht spurlos vorüber, sondern führten bei vielen in einem so nicht erwarteten Umfang zu seelischen Problemen und Einbrüchen in der psychischen Gesundheit. Wie wir sehen, konnten sich die Ärzt*innen im Lauf der Pandemie nicht an die Situation anpassen, sondern im Gegenteil, die emotionalen Belastungen haben mit der Zeit zugenommen. Emotionale Störungen unter Ärzt*innen haben ein kritisches Ausmaß erreicht.“

Prof. Goette sagt abschließend: „Es ist bedrückend zu sehen, wie die psychische Belastung von uns Ärzten über die Pandemie hinweg stetig gestiegen ist. Die Rate von erheblichen psychischen Auswirkungen während der 4. Corona-Welle erscheint wirklich bedeutsam. Hoffentlich führt das Ende der Pandemie zur Besserung der Befunde, aber dies bleibt abzuwarten und bedürfte erneuter Untersuchungen.“

Quelle: Kompetenznetz Vorhofflimmern

Literatur

Ladwig KH et al. Covid‑19 pandemic induced traumatizing medical job contents and mental health distortions of physicians working in private practices and in hospitals. Nature Scientific Reports 2023; DOI: 10.1038/s41598-023-32412-y