CoronavirusNeue Daten: Erhöhtes Thromboserisiko bei COVID-19

Neue Daten legen nahe: Venöse Thromboembolien bzw. Lungenembolien treten bei COVID-19 häufiger auf. Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen scheint das besonders zu betreffen, insbesondere bei PAVK.

Blutgefäß mit Thrombus
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Immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen belegen ein gehäuftes Auftreten venöser Thromboembolien bei an COVID-19 Erkrankten.

Aus Beobachtungsstudien konnten zahlreiche Risikofaktoren identifiziert werden, die mit einem schweren Verlauf von Corona-Infektionen assoziiert waren. Die meisten dieser Risikofaktoren finden sich interessanterweise auch bei Patient*innen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK), berichtete der Gefäßchirurg Dr. Christian-Alexander Behrendt auf einer Pressekonferenz.

Die PAVK zählt zu den Manifestationen einer systemischen Atherosklerose und umfasst weltweit mehr als 236 Millionen Menschen. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung tragen PAVK-Patient*innen ein 4-fach erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei der saisonalen Grippe. Demgegenüber stehen niedrige Impfraten von Patient*innen mit peripheren Gefäßerkrankungen, die in den letzten Jahren deutlich hinter den aktuellen WHO-Empfehlungen lagen [1].

Für eine COVID-19-Erkrankung wurde bereits früh eine Beteiligung insbesondere der kleinen Gefäße bei der Infekt- und Immunreaktion beschrieben. Grundsätzlich bedingt die bei schwerem Verlauf notwendige Intensivbehandlung unvermeidbare Komplikationen, die auch an den peripheren Gefäßen auftreten können. Bislang blieb allerdings weitgehend unklar, ob es tatsächlich eine messbare Häufung von Verschlüssen der peripheren Schlagadern gab. Ebenso, ob die teilweise beschriebenen Schlagaderverschlüsse eher auf die Infektion selbst oder die unvermeidbaren intensivmedizinischen Kollateralschäden zurückzuführen waren.

  • In hochwertigen postmortalen Untersuchungen von infizierten Verstorbenen konnten insbesondere venöse Thromboembolien (tiefe Venenthrombose, Lungenembolie) mit verblüffender Häufigkeit nachgewiesen werden [3][4].
  • Diese Beobachtung konnte in größeren systematischen Literaturübersichten mit über 100 eingeschlossenen Studien und ca. 65.000 Patient*innen bestätigt werden [2][5][6].

Gefäßbeteiligung bei COVID-19

Krankenkassendaten zu hospitalisierten Infizierten

In einer deutschlandweiten Analyse von Routinedaten der Krankenkasse BARMER wurden das dynamische Pandemiegeschehen und Kollateralschäden bei der Notfallbehandlung von Herz-Kreislauf-Krankheiten untersucht. Darunter waren mehr als 115.000 Herzinfarkte, Schlaganfälle, Einrisse der Hauptschlagader sowie akute Verschlüsse der Beinschlagadern. Entgegen der Erwartungen gingen die monatlichen Krankenhaus-Notfallbehandlungen mit dem Einsetzen der pandemiebedingten Einschränkungen zurück. Andere Patient*innenmerkmale (z.B. Altersverteilung, Risikoprofil) blieben vergleichbar. Hinweise auf eine Häufung von akuten Beinschlagaderverschlüssen ließen sich in den Versorgungsdaten nicht finden [7]. Erklärbar wären die zurückgehenden Behandlungszahlen z.B. durch eine seltenere Inanspruchnahme von Notfallbehandlungen durch die Patient*innen.

In einer weiteren Studie mit verfügbaren Informationen über den Infektionsstatus bei der Krankenkasse BARMER wurden außerdem annähernd 317.000 Krankenhausbehandlungen analysiert. Ziel war, direkte und indirekte Effekte der Pandemie auf das Notfallgeschehen zu untersuchen. Demnach ließ sich nur bei der Notfallbehandlung akuter Schlaganfälle während der Pandemie insgesamt und unabhängig vom Vorliegen einer Infektion eine Übersterblichkeit beobachten. Eine nachgewiesene Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger war auch bei der Behandlung akuter Beinschlagaderverschlüsse mit einer erhöhten Krankenhaussterblichkeit assoziiert [8]. Diese Ergebnisse legten sowohl direkte als auch indirekte Kollateralschäden bei der Notfallbehandlung peripherer Gefäßverschlüsse und Schlaganfälle nahe.

Aufgrund der in der Literatur mittlerweile zunehmenden Hinweise für venöse Thromboembolien bzw. Lungenembolien wurde anschließend eine weitere Auswertung durchgeführt: Es wurde anhand von fast 64.000 Versichertendaten der BARMER eine statistisch signifikante Häufung von Lungenembolien um fast 15 Prozent während der zweiten Pandemiewelle beobachtet. Auf Basis der Analysen konnten etwa zwölf Prozent aller Lungenembolien auf COVID-19 zurückgeführt werden. Auch hier war die Krankenhaussterblichkeit bei bestätigter SARS-CoV-2-Infektion fast doppelt so hoch. Knapp neun Prozent der Todesfälle konnten auf COVID-19 zurückgeführt werden [9]. Wie bei nahezu allen verfügbaren Beobachtungsstudien mit klinischen Registern lag eine Einschränkung darin, dass ausschließlich hospitalisierte Patient*innen in die Auswertungen eingingen. Milde Verläufe im ambulanten bzw. häuslichen Umfeld wurden nicht näher untersucht. Daher ist der Zusammenhang zwischen v.a. venösen Thromboembolien und Krankenhausbehandlung weiterhin nicht abschließend geklärt. Da nur ein Teil der tatsächlich mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen im Krankenhaus behandelt wird, erscheint die genaue Untersuchung der leichten Verläufe besonders wichtig.

Epidemiologische Daten zu nicht hospitalisierten Infizierten

Im Rahmen des COVID-Programms der prospektiven epidemiologischen Hamburg City Health Studie (HCHS) wurden erstmals hochwertige Daten zu überwiegend nicht hospitalisierten Infizierten untersucht und mit einer Kontrollgruppe verglichen. Hierbei konnten auch Daten zur Kompressionsultraschalluntersuchung der tiefen Beinvenen genutzt werden. Mit einem etwa 2,7-fach erhöhten Risiko ließen sich bei den Infizierten häufiger Auffälligkeiten der Venen finden. Das bestätigte den Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und venösen Thromboembolien [10].

Empfehlungen zur gerinnungswirksamen Therapie und Prophylaxe bei COVID-19

Die Vermeidung von akuten Gefäßverschlüssen erfolgt üblicherweise mit gerinnungshemmenden Medikamenten. Grundsätzlich sollte eine Abwägung der erwarteten Prophylaxe gegenüber dem individuellen Blutungsrisiko erfolgen. Aufgrund der bis heute begrenzten hochwertigen Evidenzbasis mit nur wenigen randomisierten kontrollierten Studien gibt es im dynamischen Pandemiegeschehen auch weiterhin nur wenige schwache Empfehlungen zur medikamentösen Thromboembolieprophylaxe. Demnach wird heute überwiegend niedermolekulares Heparin in prophylaktischer (geringer) Dosierung für alle Erkrankten (einschließlich leichter Verläufe) empfohlen, wenn sie stationär behandelt werden müssen und sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Zur Gabe therapeutischer (hoher) Dosierungen, insbesondere bei Behandlung auf Intensivstationen, gab es allerdings Hinweise darauf, dass Blutungen und Todesfälle gehäuft auftraten. Zur Abschätzung des individuellen Blutungsrisikos bei Patient*innen mit PAVK wurde 2022 ein neuer Risikovorhersage-Score entwickelt und extern validiert [11] [12].

Fazit

Nach über 2 Jahren und mehr als 5 Millionen Verstorbenen gibt es zunehmende Hinweise darauf, dass Patient*innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders von der Pandemie betroffen waren. Insbesondere Patient*innen mit PAVK weisen nahezu alle Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf gehäuft auf. Das unterstreicht die Bedeutung der wirksamen und sicheren Impfprophylaxe in dieser vulnerablen Population. Neben den Belegen für eine Häufung venöser Thromboembolien beziehungsweise Lungenembolien erscheint es naheliegend, dass sekundäre Effekte in den Kliniken und ambulanten Einrichtungen (zum Beispiel verschobene Operationen oder Sprechstundentermine) indirekt zu Kollateralschäden geführt haben.

Quelle: Pressekonferenz/Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin

Literatur

[1] Peters F, Marschall U, Behrendt CA. Prevalence of COVID-19 Risk Factors and Risks of Severe Acute Respiratory Disease Are Markedly Higher in Patients with Symptomatic Peripheral Arterial Occlusive Disease. Eur J Vasc Endovasc Surg 2021; 61(5):859–860. https://doi.org/10.1016/j.ejvs.2021.02.055

[2] Behrendt CA, Pherwani AD, Wohlauer MV. COVID-19: Lessons learned in vascular surgery. ESVS Virtual Vascular. 2022

[3] Fitzek A, Schädler J, Dietz E et al. Prospective postmortem evaluation of 735 consecutive SARS-CoV-2-associated death cases. Scientific Reports 2021; 11:19342-42

[4] Voigtländer M, Edler C, Gerling M et al. Thromboembolic events in deceased patients with proven SARS-CoV-2 infection: Frequency, characteristics and risk factors. Thromb Res 2022; 28;218:171-176. doi: 10.1016/j.thromres.2022.08.021

[5] Tan BK, Mainbourg S, Friggeri A et al. Arterial and venous thromboembolism in COVID-19: A study-level meta-analysis. Thorax 2021; 76(10):970-979. doi: 10.1136/thoraxjnl-2020-215383

[6] Mansory EM, Srigunapalan S, Lazo-Langner A. Venous Thromboembolism in Hospitalized Critical and Noncritical COVID-19 Patients: A Systematic Review and Meta-analysis. TH Open 2021; 5(3):e286-e294

[7] Seiffert M, Brunner FJ, Remmel M et al. Temporal trends in the presentation of cardiovascular and cerebrovascular emergencies during the COVID-19 pandemic in Germany: An analysis of health insurance claims. Clin Res Cardiol 2020; 109(12):1540-1548. doi: 10.1007/s00392-020-01723-9

[8] Behrendt CA, Seiffert M, Gerloff C et al. How Does SARS-CoV-2 Infection Affect Survival of Emergency Cardiovascular Patients? A Cohort Study From a German Insurance Claims Database. Eur J Vasc Endovasc Surg 2021; 62(1):119-125. doi: 10.1016/j.ejvs.2021.03.006

[9] Acar L, Peters F, Marschall U et al. Increased Pulmonary Embolism Incidence and Mortality in Patients Subsequently Diagnosed with COVID-19: An Analysis of Health Insurance Claims Data. Eur J Vasc Endovasc Surg 2022; 63(1):159-160. doi: 10.1016/j.ejvs.2021.08.027

[10] Petersen EL, Goßling A, Adam G et al. Multi-organ assessment in mainly non-hospitalized individuals after SARS-CoV-2 infection: The Hamburg City Health Study COVID programme. Eur Heart J 2022; 14;43(11):1124-1137. doi: 10.1093/eurheartj/ehab914

[11] Behrendt CA, Kreutzburg T, Nordanstig J et al. The OAC3-PAD Risk Score Predicts Major Bleeding Events one Year after Hospitalisation for Peripheral Artery Disease. Eur J Vasc Endovasc Surg 2022; 63(3):503-510. doi: 10.1016/j.ejvs.2021.12.019

[12] Peters F, Behrendt CA. External validation of the OAC3-PAD risk score to predict major bleeding events using the prospective German Vasc cohort study. Eur J Vasc Endovasc Surg 2022; S1078-5884(22)00496-8. doi: 10.1016/j.ejvs.2022.07.055

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