Amyotrophe LateralskleroseForschung: Mit gepulsten Magnetfeldern gegen ALS?

Bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS) sind die Motoneuronen stark geschädigt, sodass in der Folge die Muskeln nicht mehr arbeiten und allmählich schwinden. Untersuchungen, in denen Motoneuronen Magnetfeldern ausgesetzt wurden, machen Hoffnung, dass es möglich sein könnte, die neuronale Funktion zu verbessern.

Neuron, Nervenzelle, Illustration
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Bei ALS sind die Motoneuronen stark geschädigt und senden keine Signale mehr aus. In der Folge bekommen die Muskeln keine Anweisungen, können nicht mehr arbeiten und schwinden allmählich.

Bei Erkrankungen der Motoneuronen des Nervensystems, z.B. bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS), können keine Befehle mehr an die Muskeln geleitet werden. Dies führt nach und nach zu Lähmungen. Der Physiker Dr. Thomas Herrmannsdörfer vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und der Mediziner Prof. Richard Funk von der TU Dresden hatten die Idee, mit Magnetfeldern gezielt die Motoneuronen zu neuem Leben zu erwecken. Erste Forschungsergebnisse aus dem Labor ermutigen sie, ihr Projekt weiter zu verfolgen und eine Prototyp-Therapieanlage zu planen.

Bei gesunden Menschen senden Motoneuronen (Nervenzellen in der Hirnrinde, im Hirnstamm und im Rückenmark) Signale an die Skelettmuskulatur, um so Bewegungen auszulösen. Bei ALS sind diese Neuronen stark geschädigt und senden keine Signale mehr aus. In der Folge bekommen die Muskeln keine Anweisungen, können nicht mehr arbeiten und schwinden allmählich. Meist sind Probleme mit Armen und Beinen die ersten Symptome, bei einigen Patient*innen äußert sich die Krankheit auch mit Sprachstörungen oder Schluckbeschwerden.

Obwohl ALS seit rund 100 Jahren bekannt ist, gibt es bisher keine Aussicht auf Heilung. Es existieren lediglich medikamentöse Therapien, um die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Die Dresdner Wissenschaftler verfolgen mit ihrem Team nun einen neuen Ansatz: Sie wollen mit Magnetfeldpulsen die Motoneuronen reaktivieren.

Jede menschliche Zelle und alle ihre Bestandteile, die Zellorganellen, haben eine elektrische Ladung, ein elektrisches Potenzial. Inzwischen ist die Forschung soweit fortgeschritten, dass mittels elektrosensitiver Farbstoffe Änderungen des Membranpotenzials unter dem Mikroskop visualisiert werden können. Dies ermöglicht den Forschenden zu beobachten, wie Zellen aber auch Zellorganellen aufgrund ihrer unterschiedlichen elektrischen Potenziale miteinander kommunizieren. Wenn die elektrischen Felder und damit die Kommunikation gestört sind, kommt es zu Fehlentwicklungen und im schlimmsten Fall eben auch zu Erkrankungen wie ALS. „Weil wir wissen, dass elektrische Ströme fließen, wissen wir auch, dass es möglich sein muss, gezielt einzugreifen“, fasst Richard Funk zusammen. Und so wurde die Idee geboren, elektromagnetisch einzugreifen.

Untersuchungen in der Petrischale

Um ihren Ansatz zu testen, haben die Wissenschaftler am HZDR ein Team von Zellbiolog*innen zusammengestellt, die menschliche Hautzellen zu Motoneuronen umprogrammieren. Die Forscher*innen nutzen sowohl Zellen von Gesunden als auch von ALS-Patient*innen. Bei den Zellkulturen der ALS-Patient*innen untersuchten sie zudem Zellproben verschiedener Krankheitsstadien. In Petrischalen wurden die präparierten Zellen unterschiedlichen Magnetfeldern ausgesetzt. Hermannsdörfer fasst zusammen:

„Wir konnten in unseren Versuchen zeigen, dass bestimmte Puls- und Frequenzparameter den bei ALS gestörten Transport in den Nervenfortsätzen verbessern.“

Beobachtet wurde beispielsweise die Stimulation des für die neuronale Funktion zentral wichtigen Transports von Mitochondrien. Sie gelten als Kraftwerke der Zellen und sind für die Energieversorgung des Organismus zuständig. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler*innen nachweisen, dass durch die Magnetfelder ein beschleunigtes Auswachsen von Nervenfortsätzen erzielt wird.

Mindestens genauso verblüffend ist aber das Ergebnis, dass zwar die Zellen von ALS-Patienten auf das Niveau der Zellen von Gesunden gesteigert werden können, die Leistungsfähigkeit der Zellen von Gesunden sich im Versuch aber nicht wesentlich verändert:

Gesunde Zellen bleiben konstant. Kranke Zellen erleben eine Leistungssteigerung bis zu ihrem ehemaligen Niveau, bevor sie erkrankten.

Funk und Herrmannsdörfer wissen, dass trotz dieser Untersuchungsergebnisse noch ein langer Weg vor ihnen liegt: „Da muss man schon erstmal tief durchatmen und dann genau überlegen, wie man weiter vorgeht. Wenn diese Aktivierung nicht nur mit Zellen in der Petrischale, sondern auch am lebenden Menschen funktionieren würde, wäre tatsächlich eine Verbesserung der Lebensqualität für ALS-Patient*innen denkbar. Bis dahin liegt aber noch viel Arbeit vor uns.“

Bau einer Magnetpuls-Prototyp-Therapieanlage

Nach ihren ersten Erfolgen in den Laborexperimenten bauen die beiden Wissenschaftler nun mit ihrem interdisziplinären Team am HZDR eine Magnetpuls-Prototyp-Therapieanlage auf. Damit wollen sie die von ihnen entwickelte Methode unter realitätsnahen Bedingungen testen. Der Arbeitstitel für das Projekt heißt: NeuroMaX. In weiteren Schritten sollen Studien durchgeführt werden, die letztlich eine Zulassung für den Patientenbetrieb ermöglichen.

Damit stehe erstmalig die Möglichkeit im Raum, dass eine Regeneration krankheitsbedingter Nervenschäden beim Menschen möglich werden könnte. Die bisherigen Erkenntnisse lassen hoffen, dass vielleicht auch über ALS hinaus andere neurodegenerative Erkrankungen auf die Therapie mit gepulsten Magnetfeldern ansprechen.

Das Projekt wird vom Freistaat Sachsen und von der EU gefördert. 

Quelle: Pressemitteilung/Helmholtz Zentrum Dresden Rossendorf